Hans Seidel bezeichnet die wirtschaftlichen Erfolge der Regierung Kreisky, gemessen an den üblichen ökonomischen Kennzahlen,
als beeindruckend. Er merkt allerdings an, dass die Regierung Budgetdefizite hinterließ, die von den nachfolgenden Regierungen
beseitigt werden mussten.
JEL-Codes:H60, H12, H00, E02, E6, N14
Keywords:Makroökonomie, Budget, Fiskalpolitik, Internationale Wirtschaft, Wirtschaftsgeschichte
Research group:Macroeconomics and Public Finance
Language:German
Hans Seidel's View of the Fiscal Policy of the Kreisky Era
Hans Seidel describes the economic successes of the Kreisky government, measured by the usual economic indicators, as impressive.
He notes, however, that the government left behind budget deficits that had to be dealt with by subsequent governments.
Die Ausgabe 12/2017 der WIFO-Monatsberichte steht im Zeichen des 90-Jahre-Jubiläums des Institutes. Die Jubiläumsfeierlichkeiten,
die das WIFO im Spannungsfeld der Wirtschaftspolitik durch neun Jahrzehnte zeigten, wurden mit einem Symposium zu Ehren des
langjährigen WIFO-Leiters Hans Seidel verbunden, dessen von ihm selbst nicht mehr veröffentlichter zweiter Band zur österreichischen
Wirtschaftspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg posthum von WIFO-Wissenschaftern herausgegeben wurde.
Hans Seidel setzt sich in seinem letzten Buch mit der Kreisky-Periode auseinander. Er untersucht, wie die Herausforderungen
zweier schwerer Erdölpreiskrisen besser gemeistert werden konnten als im Ausland. Neben der bewährten Sozialpartnerschaft
trugen dazu vor allem die neuentwickelten Konzepte der Hartwährungspolitik und des Austro-Keynesianismus bei.
Anders als die Strukturpolitik war die Geld- und Wechselkurspolitik der Kreisky-Ära innovativ, wie Hans Seidel in seinem posthum
erschienenen Buch "Wirtschaft und Wirtschaftspolitik in der Kreisky-Ära" ausführt. Die Geldpolitik, die zuvor infolge der
nachkriegsbedingten Schwäche des Kreditwesens und der mangelnden Liberalisierung primär binnenorientiert gewesen war, musste
auf die außenwirtschaftlichen Herausforderungen reagieren und ihre Grenzen erkennen. Dem Inflationsschub der Erdölpreiskrisen
wurde erfolgreich mit Einkommenspolitik begegnet. Der schrittweise Übergang der Wechselkurspolitik zur Hartwährungspolitik
bedeutete eine Kausalitätsumkehr: Der Wechselkurs sollte nicht eine binnenwirtschaftlich bestimmte Preisstabilität herbeiführen,
sondern der heimischen Wirtschaftspolitik einen Stabilitätskurs vorgeben; relative Preisstabilität wurde nicht mehr dadurch
erreicht, dass die Sozialpartner vernünftig waren, sondern dass ihnen eine glaubhafte Schranke gesetzt wurde.
In Kombination mit einer umfassenden Strukturreform brachte die Wirtschaftspolitik der 1970er-Jahre Österreich einen umfassenden
Modernisierungsschub sowie eine signifikante Wohlstandszunahme. Dieser Umstand ist umso bemerkenswerter, als dieses Jahrzehnt
geprägt war durch die Folgen des Zusammenbruchs des Systems fester Wechselkurse von Bretton Woods und die Erdölpreiskrisen
in den Jahren 1973 und 1979. Den aus diesen tiefgreifenden Umbrüchen resultierenden Herausforderungen, namentlich der steigenden
Arbeitslosigkeit und der Inflation, begegnete die österreichische Regierung mit einem pragmatischen Policy Mix, der unter
dem Begriff "Austro-Keynesianismus" aufgrund seiner Erfolge auch internationale Anerkennung fand.
Das Ende 1926 gegründete Österreichische Institut für Konjunkturforschung – das spätere Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung
– entwickelte sich unter seinen Leitern Friedrich A. Hayek und Oskar Morgenstern von 1927 bis 1938 zu einer bedeutenden außerakademischen
Institution der Wirtschaftsforschung mit hoher internationaler Reputation. Inhaltlich wandelten sich die Aufgaben von der
Konjunkturdiagnose und -prognose, der die Ökonomen der Österreichischen Schule ohnehin skeptisch gegenüberstanden, zu einer
umfassenden empirischen Wirtschaftsforschung mit verfeinerten statistischen Methoden. In der Wirtschaftskrise traten insbesondere
die Leiter Hayek und Morgenstern, in schroffem Gegensatz zu anderswo forcierten proto-keynesianischen Alternativen, für eine
Hartwährungs-, Austeritäts- und Auflockerungspolitik ein, die wohl gemeinsam mit den Rigiditäten der österreichischen Wirtschaftsstruktur
für die Schwäche der Erholung bis 1938 verantwortlich war.
Die Geschichte des WIFO ist eng mit der jüngeren Wirtschaftsgeschichte Österreichs verbunden. Zentral für die Erfolgsgeschichte
des WIFO ist die wissenschaftliche Qualität und Unabhängigkeit, aufbauend auf soliden personellen und finanziellen Strukturen.
Wettbewerbsfähigkeit ist ein wichtiges Ziel für Wirtschaftspolitik wie Unternehmen. Sie wird allerdings sehr unterschiedlich
definiert, womit auch die wirtschaftspolitischen Schlussfolgerungen oft gegensätzlich sind. Der vorliegende Beitrag zeigt
den Weg von einer rein kostenorientierten Sicht zu einer Definition, die sich an den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Zielen orientiert. Diese Definition ermöglicht die konsequente Verfolgung einer High-Road-Strategie: Sie nutzt Innovationen,
Skills und Ambitionen, um damit hohe Einkommen, sozialen Zusammenhalt und ökologische Exzellenz zu erreichen. Anhand dieses
Konzeptes ist die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Länder nach breiteren Wohlfahrtsindikatoren stärker als gemessen am
Pro-Kopf-Einkommen. Keines der erfolgreicheren europäischen Länder verfolgt eine kostenorientierte Low-Road-Strategie.
Die WIFO-Monatsberichte haben mit dem vorliegenden Heft 12/2017 ihren 90. Jahrgang vollendet. Sie spiegeln in ihrer inhaltlichen
und formalen Gestaltung die Verbindung von Kontinuität und Neuem wider, die das WIFO seit seiner Gründung im Jahr 1927 prägt.
Wie in einem "Prospekt" für die Institution der Monatsberichte gibt dieser Beitrag Interessierten einen kleinen Einblick in
die Geschichte der Monatsberichte, die Struktur der behandelten Themen und die Qualitätssicherungsprozesse, die zur Herstellung
dieser Publikation erforderlich sind.