Der konjunkturelle Abschwung erfasste im 2. Halbjahr 2022 auch die Wiener Wirtschaft. Die noch günstige Entwicklung bis zum
Sommer erlaubte im Gesamtjahr mit real +4,4% trotzdem das höchste regionale Wirtschaftswachstum im letzten Jahrzehnt. Gegenüber
Österreich verblieb 2022 dennoch ein moderates Wachstumsminus, weil massive Basiseffekte im wieder erstarkenden Tourismus
und Impulse aus der hier noch regen Export- und damit Industriekonjunktur das Konjunkturbild im dynamischen 1. Halbjahr dominierten,
was Wien strukturell benachteiligte. Ein leichtes Wachstumsplus nach dem Sommer konnte dies nicht kompensieren. Anders als
in Österreich gingen vom Wiener produzierenden Bereich im gesamten Jahresverlauf keine Wachstumsimpulse aus. Die Wiener Dynamik
war damit 2022 allein durch den tertiären Sektor getrieben, was dem Wiener Arbeitsmarkt bei tendenziell höherer Arbeitsintensität
in vielen Dienstleistungsbranchen entgegenkam. Die Beschäftigung nahm daher 2022 in Wien mit +3,4% rascher zu als in Österreich
(+3,0%), die regionale Arbeitslosenquote sank mit 10,5% auf den niedrigsten Wert seit 2013. Im Jahr 2023 wird sich dies nicht
fortsetzen: Die Wiener Wirtschaftsleistung dürfte nur noch um 0,6% (Österreich +0,2%) zulegen, was noch für einen Beschäftigungsanstieg
von 0,9% (Österreich +0,7%) ausreichen sollte – zu wenig, um die Arbeitslosigkeit weiter zu reduzieren.
Als Basis für eine mittelfristige Schätzung des Qualifizierungsbedarfs erarbeitet das WIFO regelmäßig Prognosen der Beschäftigungsentwicklung
nach Berufsgruppen, Branchen und Geschlecht. Dazu wurde eine modellgestützte Prognoseinfrastruktur aufgebaut. Die aktuelle
Berechnung deckt den Zeitraum 2021 bis 2028 ab und bietet eine detaillierte Prognose für 38 Branchen und 9 Berufshauptgruppen.
Auf Ebene der neun Bundesländer werden ebenfalls neben 38 Branchen 9 Berufsgruppen unterschieden. Bei einem Wachstum der Gesamtbeschäftigung
von knapp 1,1% pro Jahr zeigt sich ein deutlicher Trend zu höheren Qualifikationsanforderungen und zu dienstleistungsorientierten
Tätigkeiten. Akademische Berufe weisen ein deutlich überdurchschnittliches Wachstum auf, während insbesondere Berufe mit einem
höheren Anteil Geringqualifizierter Beschäftigungsverluste aufweisen.
Durch die Anwendung geeigneter Modellansätze sollen vorherrschende Informationslücken geschlossen und der Tourismusindustrie
damit neue Entscheidungshilfen zur Verfügung gestellt werden, um sich nicht nur auf das quantitative Wachstum der Gästeankünfte
und der touristischen Übernachtungen zu konzentrieren, sondern auch auf die Steigerung des durch die touristischen Dienstleistungen
generierten Wertes. Dafür soll ein Instrument geschaffen werden, das die Überwachung der touristischen Zyklen anhand von Umsatz-
und Wertschöpfungskennzahlen ermöglicht. Für die zu prognostizierenden Größen werden verschiedene Prognosemodelle verwendet
und deren Leistungsfähigkeit anhand von Prognosegenauigkeit und Fehlerminimierung gegeneinander abgewogen. Über die drei Prognosevariablen
zeigten sich robuste Ergebnisse mit den geringsten durchschnittlichen absoluten Prognosefehlern bei der Prognostizierung der
Bruttowertschöpfung des Sektor I, gefolgt von den Umsätzen in der Beherbergung und Gastronomie. Die angewandten Shrinkage-Modelle
wiesen relativ zu den anderen Prognosemodellen die höchste Prognosegüte auf. Anhand dieser Ergebnisse sollen Branchenvertreter
und Tourismusorganisationen zukünftig fundiertere Entscheidungen über Entwicklungsziele treffen können, während die gewonnenen
Erkenntnisse auch in die Formulierung künftiger politischer Maßnahmen Eingang finden sollen.
Im Sommer 2022 erfuhr die wirtschaftliche Konjunktur in Österreich kräftige wirtschaftliche Impulse, welche auf einer breiten
sektoralen Basis beruhten. Zum Teil basiert die kräftige Konjunktur auf Aufholeffekten infolge der massiven konjunkturellen
Verwerfungen in der COVID-19-Pandemie. Dies trifft insbesondere auf den Tourismusbereich zu, wo sich die Anzahl der Nächtigungen
im Sommer 2022 gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelte. Das Vorkrisenniveau in Österreich ist hier insgesamt jedoch noch
nicht ganz erreicht. Am aktuellen Rand ist jedoch eine deutliche Abschwächung der Konjunktur zu erkennen.
Die stark steigenden Verbraucherpreise trüben die Wachstumserwartungen für die österreichische Wirtschaft für die nächsten
Jahre. In seiner neuesten Mittelfristigen Prognose geht das WIFO von einem deutlichen Abflauen der Konjunktur in den nächsten
Jahren aus. Basierend auf diesen Vorhersagen sollte die Zahl der bei der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) versicherten
unselbständig Beschäftigten 2022 noch um 3,1% zulegen. Im Jahr 2023 kommt es zu einer deutlichen Verlangsamung auf +0,6%,
und auch in den nachfolgenden Jahren wird das Wachstum der Zahl der bei der ÖGK versicherten unselbständig Beschäftigten die
1%-Marke nicht überschreiten. Das Wachstum der beitragspflichtigen Lohnsumme sollte aufgrund der in Zeiten hoher Inflation
erwartbaren höheren Lohnabschlüsse 2023 bei 8,0% liegen und sich mit dem sukzessiven Abklingen der Inflation in den Folgejahren
verringern. Da die deutlich verlangsamte Dynamik in den Jahren 2023 und 2024 vor allem auf ein geringeres Exportwachstum zurückzuführen
sein wird, sollten die tourismusintensiven bzw. stärker von der Inlandsnachfrage abhängigen Bundesländer tendenziell bevorzugt
sein, während die industrie- und exportintensiven Bundesländer im Allgemeinen etwas benachteiligt sind.
Die regionalen konjunkturellen Verläufe waren im I. Quartal 2022 maßgeblich von den pandemiebedingten wirtschaftlichen Verwerfungen
des Vorjahres geprägt. Es zeigte sich daher besonders in den tourismusintensiven Bundesländern eine kräftige Aufholdynamik.
Das wieder aufhellende konjunkturelle Umfeld äußert sich mit Zuwächsen in der Beschäftigung sowie Rückgängen in der Zahl der
Arbeitslosen auf den regionalen Arbeitsmärkten.
Die regionalen konjunkturellen Verläufe waren im IV. Quartal 2021 weiterhin von starken Aufholprozessen aufgrund der wirtschaftlichen
Verwerfungen im Vorjahr geprägt. Die allgemein positive konjunkturelle Entwicklung zeigt sich auch auf den regionalen Arbeitsmärkten,
was sich in steigenden Beschäftigungszahlen sowie sinkender Arbeitslosigkeit widerspiegelt.
Die Erholung der Wiener Wirtschaft von der COVID-19-Krise war 2021 trotz neuerlicher pandemiebedingter Einschränkungen der
Geschäftstätigkeit im Frühjahr und zu Jahresende äußerst kräftig. Strukturelle Vorteile aus der Erholung des internationalen
Dienstleistungshandels und aus Rebound-Effekten in konsumorientierten Tertiärbereichen ließen ein Wachstum von real +5,3%
zu, was trotz negativer Basiseffekte einen Wachstumsvorsprung von 0,9 Prozentpunkten gegenüber Österreich bedeutete. Damit
expandierte auch die Beschäftigung in Wien mit +3,2% deutlich rascher als in Österreich (+2,5%), die Arbeitslosenquote ging
um 2,4 Prozentpunkte auf 12,7% zurück. 2022 dürfte sich der Wachstumspfad der Wiener Wirtschaft aufgrund der Konsequenzen
des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine auf +3,7% (Österreich +4,0%) abflachen. Ein Beschäftigungsanstieg von noch
+2,0% könnte dennoch ausreichen, um die Wiener Arbeitslosenquote auf 11,3% und damit unter das Vorkrisenniveau zurückzuführen.